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Ankunft der Heimatvertriebenen 1946

| Geschichten | | Nachkriegszeit Flucht und Vertreibung
Einblick in die Ausstellung „Als die Demokratie zurückkam – 75 Jahre Verfassung in Hessen und Fulda“ im Vonderau Museum mit dem Themenbereich „Ankunft der Vertriebenen“ © Stadt Fulda

Die ersten Flüchtlinge kamen bereits vor dem Kriegsende in Fulda an. Die Fuldaer Zeitung erwähnte diese am 8. März 1945 erstmals als „Rückgeführte“. Laut dem Bericht sollte die Fuldaer Bevölkerung auf die „sparsamste Bewirtschaftung der Grundnahrungsmittel“ achten, um die neu Ankommenden mitzuernähren.

Zu diesem Zeitpunkt trafen die Flüchtlinge entweder allein oder in kleinen Gruppen ein. Häufig waren es Frauen mit minderjährigen Kindern, deren Väter in Kriegsgefangenschaft waren oder als vermisst galten. Ungefähr 1.000 nicht organisierte Flüchtlinge wurden im Jahr 1945 in Fulda aufgenommen (vgl. Verwaltungsbericht der Stadt Fulda 1945/46).

Das Auffang- und Durchgangslager

Im Dezember 1945 errichtete die Stadt Fulda ein Durchgangslager für die Vertriebenen der organisierten Transporte. Von dort aus sollten die Heimatvertriebenen in die ländlichen Gebiete in Nord- und Osthessen gebracht werden.

Das Lager befand sich in der ehemaligen Fabrik Wahler in der Rabanusstraße. Es konnten rund 1.000 Menschen für eine Nacht untergebracht und verpflegt werden. Insgesamt erhielten dort 51.818 Personen ein Nachtquartier und Verpflegung.

In der Turnhalle in der Rabanusstraße, hinter dem heutigen Sparkassengebäude, war die städtische Desinfektionsanstalt untergebracht, in der die Heimatvertriebenen nach ihrer Ankunft zunächst „entlaust“ wurden. Nach der Erstversorgung im Durchgangslager wurden die Vertriebenen auf die Gemeinden im Landkreis Fulda verteilt.

Die Wohnungsabteilung der Stadt Fulda

Adam Hitzel war nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft seit dem 19. November 1945 bei der Stadt Fulda angestellt. In seiner Position als Leiter der Wohnungsabteilung beim Sozialamt war er für die Einrichtung einer Flüchtlingsdienststelle zuständig, die Unterbringung und Versorgung der Vertriebenen mit Lebensmitteln, Kleidern und Gebrauchsgegenständen verantwortete.

Denn aufgrund der Zwangsaussiedlung und Enteignung musste der Besitz in der alten Heimat zurückgelassen werden. Nur einige Habseligkeiten wie Lebensmittel, Kleidung, Decken und Ausweisdokumente konnten mitgenommen werden. Das Gepäck in Rucksäcken, Koffern oder Handwagen durfte 30 bis 50 kg nicht überschreiten.

Über die Einrichtung des Auffang- und Durchgangslagers berichtete er am 6. Februar 1979 in einem Audio-Interview mit dem ehemaligen Stadtbaurat Hans Nüchter:

„Gleich Ende 1945 wurde in der Rabanusstraße ein Projekt in Angriff genommen, und zwar wurde eine frühere Fabrik (bekannt unter dem Namen „Wahler’sche Fabrik“) umgebaut und mit 1.200 Betten ausgestattet, so dass wir in der Lage waren, im Februar/März 1946 schon die ersten Transporte aufzunehmen.

Dazu kam aber, dass wir nicht nur ein Lager hierrichten mussten, sondern Fulda war auch Verpflegungsstelle für die durchfahrenden Flüchtlingstransporte und Kriegsgefangenentransporte und somit gewissermaßen ein Mittelpunkt für die Transporte, die von Österreich oder der Tschechei kamen und nach Norddeutschland oder nach Nordhessen gingen. In Fulda war Zwischenstation für die Verpflegung.“

Auf die Frage, wer gekocht habe, antwortete Hitzel: „Das waren Rote-Kreuz-Schwestern. Unsere Fürsorgerinnen haben damals auch noch mitgeholfen. Sie haben den Nachtdienst gemacht und auch das Frühstück vorbereitet für den nächsten Tag während der Nachtwache. Es waren alles ehrenamtliche Leistungen.“

Die Ankunft der Heimatvertriebenen

Ab 23. Februar 1946 kamen die ersten Vertriebenen in organisierten Transporten in Fulda an. Für 36 von 49 Güterzügen war der Fuldaer Bahnhof nur Durchgangsstation. Ein Transport bestand aus 40 aneinandergereihten Güterwaggons. In einem Waggon befanden sich jeweils 30 Personen mit insgesamt 1.200 Vertriebenen pro Zug.

Über die Ankunft des ersten Transports berichtete die Fuldaer Volkszeitung in dem Artikel „Die ersten Zwölfhundert“ am 27. Februar 1946. Vor 75 Jahren nahm die Stadt Fulda insgesamt über 5.500 und der Landkreis weitere 15.500 Heimatvertriebene vor allem aus dem Sudetenland, aber auch aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien auf. Der Anteil der Vertriebenen an der Wohnbevölkerung lag in Fulda aufgrund der Verteilungspolitik Ende des Jahres bei 14,8 %. Besonders in den ländlichen, von den Kriegszerstörungen verschonten Regionen lag die Anzahl der Vertriebenen an der Bevölkerung häufig noch höher. Aufgrund der angespannten Wohnsituation beendete die amerikanische Militärregierung die Transporte im Winter 1946 und sperrte die US-Zone für weitere Zuzüge.

Die Integration

„3.000 Wohnungen weniger in Fulda, aber 10.000 Personen mehr als 1939“ (Fuldaer Nachrichtenblatt, 1.8.1945)

Angesichts der Wohnraumproblematik durch die Kriegszerstörungen und Beschlagnahmungen stellte die Versorgung, Unterbringung und Arbeitsplatzbeschaffung der Heimatvertriebenen eine große Herausforderung in den Nachkriegsjahren dar.  Im Verwaltungsbericht der Stadt Fulda für das Jahr 1948 bezeichnete Oberbürgermeister Dr. Cuno Raabe die Wohnungsnot als ein „Kardinalproblem“. Denn neben den Heimatvertriebenen mussten auch noch 4.000 Evakuierte, Displaced Persons sowie eine nicht näher bestimmbare Zahl von durchziehenden Flüchtlingen beherbergt werden. Die Stadtverwaltung legte am 16. September 1946 der Militärregierung eine Berechnung vor. Nach dieser lebten in Fulda mittlerweile 44.631 Personen, sodass auf den in der Stadt vorhandenen Wohnraum 1,93 Personen kamen (vgl. Stadtarchiv 6/474).

Die Unterbringung von Flüchtlingen und Vertriebenen in den Wohnungen der einheimischen Bevölkerung führte häufiger Problemen und Auseinandersetzungen. Der Verwaltungsbericht der Stadt Fulda für das Jahr 1946 gibt Auskunft darüber, dass die Situation eine erhebliche Belastung für die Bevölkerung sei, die zu „Spannungen zwischen Alt- und Neubürgern aufgrund des engen Zusammenwohnens sowie des verschiedenartigen landsmannschaftlichen Charakters“ führe. Dennoch lebe die Mehrheit der Flüchtlinge „in guten Verhältnissen mit ihren Quartiergebern.“

Der Leiter der Wohnungsabteilung Hitzel berichtete im Interview mit dem Stadtbaurat Hans Nüchter über die Wahrnehmung der lokalen Bevölkerung:

 „Es gab ab und zu mal Schwierigkeiten. […]  Der erste Transport wurde besser aufgenommen als die weiteren Transporte. Man hat geglaubt, dass es mit dem einen Transport erledigt wäre, und da war die Bevölkerung jedenfalls mehr zugängig als später. Später war die Unterbringung schwieriger. Jeder hat sich ja gesträubt, einen Raum abzugeben – nur im äußersten Falle –, und dadurch war dann die Unterbringung zunächst etwas schwieriger geworden. Aber durch die systematische Überprüfung der Wohnungen war es dann doch leichter, weil die Leute sich ja auf Grund der Gesetze damals nicht weigern konnten. Die Flüchtlinge mussten ja aufgenommen werden, wenn Unterbelegung der Wohnung vorhanden war.“

Die schwierige Versorgungslage und große Wohnungsnot erschwerten die Unterbringung und berufliche Eingliederung der Neubürgerinnen und Neubürger. In den 1950er Jahren begründete Ministerpräsident Georg-August Zinn mit dem Hessenplan ein beispielloses Strukturentwicklungsprogramm, das Wohnraum und Arbeitsplätze schuf. Im Landkreis Fulda etwa entstand 1950 die Siedlung Niesig als erste neue Siedlung im Landkreis Fulda mit Unterstützung der Kreisbehörden und der hessischen Landesregierung. Die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Integration der Vertriebenen gilt heute als Erfolgsgeschichte.

Kurzbiografien

Erich Schmidt

Als Nachfolger von Dr. Franz Danzebrink ernannte die Militärregierung am 26. Juni 1945 den politisch unbelasteten Erich Schmidt (1.12.1882-22.8.1965) zum neuen Oberbürgermeister der Stadt Fulda. Dieser lehnte die Stelle aufgrund seiner fehlenden Erfahrung in der Kommunalverwaltung zunächst ab. Schmidt stammte aus dem schlesischen Ratibor und war seit 1923 Leiter der Dresdner Bank in Fulda. Während seiner einjährigen Amtszeit leitete er den Aufbau der zerstörten Stadt und baute auch ein gutes Verhältnis zur Militärregierung auf. Bei der Wahl 1946 kandidierte er nicht gegen Dr. Cuno Raabe, der ihm als Oberbürgermeister folgte.

Dr. Cuno Raabe

1933 verbot Cuno Raabe (5.5.1888-3.5.1971) als Hagens Oberbürgermeister eine NS-Propaganda-Veranstaltung und protestiert gegen das Hissen der NS-Fahne auf dem Rathaus. Der Zentrumspolitiker kam in Schutzhaft, musste aber wieder entlassen werden. Bereits 1934 schließt er sich dem Widerstandskreis um Carl Goerdeler an und wird 1944 nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli inhaftiert und angeklagt. Seine Akte verbrennt: Raabe entgeht dem Todesurteil. 1945 gründet er die CDU in Hessen und ist als Vize-Präsident der Verfassungsberatenden Landesversammlung stark an der Ausarbeitung der ersten deutschen Verfassung nach der NS-Diktatur beteiligt. 1946 bis 1956 ist er Oberbürgermeister Fuldas. Am 1.12.1946 wird er in den Landtag gewählt.

Verwendete Quellen und Literatur:

  • Audio-Interview mit Adam Hitzel, 6. Februar 1979 (Stadtarchiv Fulda, NL 36 Nüchter / 133).
  • Fuldaer Volkszeitung, 1945-1946.
  • Fuldaer Zeitung, 8.3.1945.
  • Stadtarchiv Fulda: 6/474; Verwaltungsberichte der Stadt Fulda, 1946 und 1948
  • Ausstellung „Als die Demokratie zurückkam – 75 Jahre Verfassung in Hessen und Fulda“ im Vonderau Museum Fulda (15.7. – 24.10.2021).
  • Bund der Vertriebenen (Hg.): 1945-1985. 40 Jahre Vertreibung, 35 Jahre Eingliederung – Eine Dokumentation des Bundes der Vertriebenen, Fulda 1985.
  • Messerschmidt, Rolf: Aufnahme und Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge in Hessen 1945-1950. Zur Geschichte der hessischen Flüchtlingsverwaltung, Wiesbaden 1994.
  • Sagan, Günter / Stasch, Gregor (Hg.): Leitmeritz – Fulda: Vertreibung 1945/46. Publikation zur Sonderausstellung „Leitmeritz – 60 Jahre Vertreibung“ im Vonderau Museum in Fulda, Petersberg 2006.
  • Sagan, Günter: Besatzungsjahre (1945-1949), in: Fuldaer Geschichtsverein (Hg.): Geschichte der Stadt Fulda. Von der fürstlichen Residenz zum hessischen Sonderstatus, Bd. 2, Fulda 2008, S. 205-238.
  • Sagan, Günter: Die frühe Nachkriegszeit in der Region Fulda. Die Jahre 1947 bis 1949, Petersberg 2020.
  • Stasch, Gregor (Hg.): „Alles für Fulda!“: Aspekte der Kommunalpolitik 1946-2006, Petersberg 2006.
  • Stiftung „Vertriebene in Hessen“ (Hg.): Hessen und die Vertriebenen. Eine Bilanz von 1945 bis zur Gegenwart, Bonn 2010.
  • Verse, Frank (Hg.): Als die Demokratie zurückkam. 75 Jahre Verfassung in Hessen und Fulda. Begleitband zur Ausstellung, Fulda 2021.

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