Liselotte Röder wurde 1926 in Fulda geboren. Unter der US-Militärbesatzung wurde die elterliche Wohnung in der Frankfurter Straße beschlagnahmt. Die Familie kam provisorisch bei Freunden unter, welche ihr unerlaubterweise eine neue Wohnung vermittelten. Nach dem Besuch der Handelsschule war sie von 1942 bis 1956 für die Stadtverwaltung Fulda tätig und Sekretärin dreier Oberbürgermeister.
1934 wurde Alois Pleyer in Prag geboren und wuchs in Landskron im Sudetenland auf. Im Februar 1946 gelangte er mit einem Vertriebenentransport nach Fulda und fand seine neue Heimat in der Gemeinde Hainzell im Landkreis Fulda. Als Jugendlicher besuchte er ab 1947 das Realgymnasium, wo er seine Freude am Handball entdeckte, und später regelmäßig die Bibliothek im Amerikahaus in Fulda.
Das folgende Zeitzeugengespräch wird sinngemäß wiedergegeben. Einen weiteren Einblick in die Erinnerungen und die Biographie der beiden Zeitzeugen lassen sich in den Beiträgen zu Alois Pleyer und Liselotte Röder finden.
Zu Beginn zitierte der Moderator Klaus Becker das folgende Gedicht, das von Liselotte Röder im April 1995 anlässlich des 50-jährigen Gedenkens an das Kriegsende verfasst wurde:
Der Krieg ist aus, vorbei, hurra!
und ich werd’ grade 19 Jahr!
Kann ich es wirklich denn schon fassen,
Sirenen schweigen plötzlich still.
Vor’m Schutzraum keine Menschenmassen.
Mein Kopf es noch nicht glauben will.
Am Abend keine schwarzen Scheiben.
Verdunkelung ist nun passé.
Das Fenster kann auch offen bleiben.
Weit schweift der Blick hin zur Chausee.
Auch die Laternen auf den Straßen
ganz zaghaft zeigen wieder Licht
und auf dem Weg spazieren Leute,
nicht Schreckensangst mehr im Gesicht.
Wir müssen zwar die Wohnung räumen
so etwa für ein halbes Jahr,
weil die Besatzer es so wollen
für soldiers aus Amerika.
Wir sind jedoch nicht ohne Bleibe.
Die Nachbarn helfen wunderbar.
In diesen ja so schweren Zeiten
ist gegenseitige Hilfe da.
Doch ist nicht alles Leid vorüber.
Vom Osten kommen Menschen viel.
Auch sie wär’n gern daheim geblieben,
Vertriebene, ein Trauerspiel!
Wir rücken enger all zusammen.
Der Wohnraum ist für uns oft schmal.
Jedoch wir leben und wir hoffen
und alles and’re ist egal.
Noch gibt es Kleidung hier auf Scheine
und Lebensmittelkarten auch.
Beim ersten Nylonstrumpf am Beine
vergißt man Hunger selbst im Bauch.
Doch 1948 – Währungsreform in unserm Land.
Mit DM 40,- gibt’s den Anfang.
Das hatten wir noch nicht gekannt.
Ich kann mich noch genau entsinnen,
plötzlich war’n die Regale voll
in unsern Lebensmittelläden
und Auslagen im Fenster — toll!
So konnte ich und viele andre
Ans kleine Geldverdienen gehn.
Und waren wir auch sehr bescheiden,
der Aufwärtstrend war wunderschön.
Es sind nun einige Jahrzehnte
ins Land gezogen seit der Zeit.
Erinnerung ist wach geblieben.
Wir haben’s geschafft:
Und heut ist heut.
Welches Bild sehen Sie vor sich, wenn Sie an den Mai 1945 denken?
Frau Röder berichtet, dass sie sich an viele Trümmer erinnert, an Leute, die spazieren gehen, und an glückliche Gesichter, so als ob alle aufatmen würden.
Mit elfeinhalb Jahren, so erzählt Herr Pleyer, ist er zusammen mit seiner Mutter in Fulda angekommen. Zu dem Zeitpunkt hat er die Stadt Fulda zum ersten Mal gesehen und war erschrocken, da sie zuhause keinerlei Kriegsschäden hatten. Die ersten Ruinen haben er und seine Mutter auf der Fahrt in Würzburg, Nürnberg und dann in Fulda gesehen, was für ihn sehr deprimierend war. Bei der Ankunft hat niemand gewunken. Heute versteht er rückblickend, dass das Land schwer gebeutelt war. Er hat sich gewundert, so berichtet er, wie gut die Integration dennoch geklappt hat.
Wie haben Sie die Ankunft der „Amis“ aufgefasst, als Besatzer oder Befreier?
Frau Röder erzählt, dass sie mit 19 Jahren in der Stadtverwaltung gearbeitet hat. In dem Alter war es für sie eher eine Vorsicht vor dem Fremden und die Frage „Was kommt?“ beschäftigte sie. Die Sperrstunde um 18 Uhr hat Frau Röder als junges Mädchen besonders als eine Auswirkung der Besatzung wahrgenommen. Sie berichtet, dass zwei Amerikaner damals an der Haustür standen und sagten, dass ihre Familie innerhalb von einer halben Stunde aus der Wohnung raus muss. Sie kamen dann zunächst in zwei Büroräumen der Firma Weber unter. Dort gab es kein Mobiliar, es gab jedoch einen kleinen Waschraum für die Mitarbeiter der Firma, den sie nutzen konnten. Sie hatten insgesamt sehr viel Glück und haben bald darauf eine Wohnung durch die Firma erhalten.
Sie haben die Wohnung 1946 von der Firma Weber erhalten. Erinnern Sie sich, ob Sie ausreichend Lebensmittel oder Material zum Heizen hatten?
Frau Röder erinnert sich, dass der Ofen mit Kohle geheizt wurde. Der Vater hat sich darum gekümmert.
Mehr als 13 Vertriebenentransporte sind in Fulda angekommen, so auch aus der Heimat von Herrn Pleyer, dem Sudetenland. Für die Schaffung von Wohnraum wurde eine Zwangsbewirtschaftung durchgeführt. Können Sie sich daran erinnern, was nach Ihrer Ankunft geschah?
Herr Pleyer kann sich daran erinnern, dass er und seine Mutter zu einer Wohnung gebracht wurden sowie ungefähr an den Satz, welcher an die Eigentümer der Wohnung gerichtet war: „Laut Wohnungsbestandserhebung habt ihr so und so viele zu nehmen“.
Sie wurden zu anderen Menschen in deren Privaträume eingewiesen. Wie sind Ihnen die Fuldaer begegnet?
Die Gegend war sehr klein und jeder kannte jeden, führt Herr Pleyer aus. Das Kennenlernen ist dadurch viel schneller vonstattengegangen und für ihn war es eine sehr schnelle Integration.
Wie sah es mit der Versorgung aus?
„Wir haben Hilfe erhalten.“ Sie lebten von einer staatlichen Unterstützung, die zu der Zeit sehr knapp war, und dem, was seine Mutter durch Näh- und Änderungsarbeiten verdiente. Erst 1954 hat sie eine richtige Arbeitsstelle erhalten.
Bezogen auf die Silvesterpredigt von Kardinal Frings 1946. Haben Sie gehamstert?
Frau Röder führt aus, dass es zwangsläufig dazu kommen musste, damit man überhaupt durchkam.
Wie haben Sie die Amerikaner erlebt?
Die Amerikaner hatten den vorderen Teil des Stadtschlosses eingenommen, berichtet Frau Röder. Der gesamte Austausch zwischen der Militärregierung und der Stadtverwaltung musste in Englisch erfolgen. Dafür wurde ein Dolmetscherbüro eingerichtet, in dem Lehrer von Oberschulen oder auch Oberschüler, welche die englische Sprache gut beherrschten, eingesetzt wurden. Jedes Schriftstück, das die „Amis“ bekamen, musste erst übersetzt werden.
Für Herrn Pleyer war das Amerikahaus in Fulda ein wichtiger Treffpunkt in seiner Jugend. Dort konnten sich die Kinder und Jugendliche gute Bücher ausleihen. Die Schüler hatten nichts und Herr Pleyer kann sich nicht erinnern, dass es in der Schule viel gab. Die Lehrer hatten zu ihm und seinen Mitschülern gesagt, dass sie dort gute Bücher ausleihen können. Vor allem im Winter gab es auf die Frage „Wo geht man hin?“ als Antwort für einen Treffpunkt nur das Amerikahaus.
Zwölf Jahre lang NS-Propaganda und jetzt kommen neue Menschen mit neuen Ansichten. Hatten Sie gleich Vertrauen?
Frau Röder fasst ihre damalige Haltung mit den Worten zusammen, dass man eher abwartend war, also kein direktes Vertrauen hatte und erst überzeugt werden musste.
Herr Pleyer führt fort, dass man über die Schule die Möglichkeit hatte, was zu erfahren. Positiv sind ihm vor allem die Lehrer in Erinnerung geblieben, die trotz der ganzen Not den Schülern viel beigebracht haben. Jedoch weiß er nicht mehr, ob in den unteren Klassen über Politik gesprochen wurde.
1948 – das Jahr der Währungsreform. Welche Gedanken oder Erwartungen hatten Sie an die Zukunft?
Ihre Gedanken beschreibt Frau Röder mit „abwartend“ und „positiv denkend“.
Herr Pleyer blickt auf die Zeit zurück, als er im Handball sehr aktiv war und die erste Mannschaft von Hainzell damals auch in der Landesliga spielte. Der Vereinssport habe sehr zu seinem Selbstbewusstsein beigetragen und damals wie auch heute noch, sind seine Kameraden für ihn sehr wichtig. Zu diesem Zeitpunkt dachte er noch nicht an die Zukunft, weil seine berufliche Zukunft gerade erst begonnen hatte.
Können Sie eine Lehre, ein Wort oder einen Trost aus Ihrem Leben, Ihren Erfahrungen heraus nennen, was Sie auch dem Publikum mitgeben möchten?
Während der Zusammenhalt und die Unterstützung der Familie für Frau Röder immer ganz wichtig waren, führt Herr Pleyer ein Zitat an. Eine Person hat einmal zu ihm gesagt, dass sie froh sei, in Kindheit und Jugend arm gewesen zu sein. So habe sich diese Person ein Leben lang freuen können.
Mit den Worten „Ein großes Kompliment an das, was Sie geleistet haben“ beendet der Moderator das Interview. Anschließend wurden Fragen aus dem Publikum an die beiden Zeitzeugen gestellt und es fand ein angeregter Austausch statt, bei dem sich auch weitere Fuldaer Zeitzeugen beteiligten.
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